Transport
27.05.2022
 8 min read

Welche Rolle spielen erneuerbare Kraftstoffe für einen nachhaltigen Verkehr?

 

Um die drohenden Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, müssen die Treibhausgasemissionen (THG) des Verkehrssektors schnell, drastisch und in großem Umfang reduziert werden. Eine Fülle von Daten macht dies sehr deutlich, und dennoch ist es keine einfache Aufgabe. Sie erfordert zahlreiche technologische Innovationen, Gesetzesänderungen  sowie individuelle und kollektive Anstrengungen. Doch auch wenn die nachhaltige Gestaltung des Verkehrs eine der größten Herausforderungen der Menschheit in diesem Jahrhundert ist - sie ist dennoch möglich. Durch Aufklärung, Handlungsfähigkeit und ein entschlossenes Vorgehen haben wir es in der Hand, einen Paradigmenwechsel im Verkehr hervorzurufen, der den Planeten schützt statt seine Existenz zu gefährden.   

Warum ist die Dekarbonisierung des Verkehrs so wichtig?  

Carl Nyberg, Executive Vice President des Geschäftsbereichs Renewable Road Transport bei Neste, betont, dass die Verkehrsemissionen das größte Hindernis zur Erreichung internationaler Klimaziele wie der Begrenzung der globalen Erwärmung oder der Klimaneutralität darstellen. Der Verkehr ist in vielen Ländern und Regionen Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen und für etwa 25 % aller Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich. Auf den Verkehrssektor entfallen außerdem über 60 % des Ölverbrauchs und über 25 % des Energieverbrauchs weltweit. Im Gegensatz zu vielen anderen Sektoren - wie dem verarbeitenden Gewerbe, dem Gesundheitswesen und der Landwirtschaft - gehen die Emissionen im Verkehr nicht aufgrund von Innovationen oder politischen Maßnahmen zurück. Sie nehmen vielmehr aufgrund der steigenden Nachfrage nach Waren, Dienstleistungen und Reisen sogar zu

Zwischen Verkehrsanbindung und Lebensqualität besteht ein enger Zusammenhang , da der Verkehr Menschen und Gemeinden mit Bildungsstätten, Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, Arbeitsplätzen und auch untereinander verbindet. Er mobilisiert nicht nur die Gesellschaften von heute, sondern sorgt auch für das Wirtschaftswachstum von morgen. Aus diesen Gründen ist eine einfache Verringerung des Verkehrsaufkommens keine praktikable Lösung. Eine drastische Reduzierung der Emissionen bleibt jedoch eine Voraussetzung für eine nachhaltige Zukunft. Selbst wenn in allen anderen Wirtschaftssektoren Klimaneutralität erreicht würde, hätte eine unzureichende Dekarbonisierung des Verkehrs immer noch einen globalen Temperaturanstieg von mehr als 2 °C zur Folge. Einfach ausgedrückt: Das, worauf wir uns stützen, um unsere Wirtschaft weltweit in großen Teilen anzutreiben - die Mobilität - ist auch unser größter Feind im Kampf um Nachhaltigkeit.  

Verschiedene Akteure des Verkehrssektors arbeiten bereits zusammen, um nachhaltigen Verkehr Realität werden zu lassen. Viele Gesetzgeber und Regulierungsbehörden haben die Notwendigkeit eines Wandels erkannt und sich ehrgeizige Ziele für die Senkung der Verkehrsemissionen gesetzt. Investoren treiben Innovationen im privaten Sektor voran und große Kraftstoffverbraucher (sowohl Privatverbraucher als auch öffentliche Einrichtungen) wenden sich kohlenstoffarmen Lösungen zu. Mit anderen Worten: Der Trend ist bereits angekommen. Jetzt geht es darum, dass sich Geschwindigkeit und Umfang exponentiell steigern.   

Gibt es ein Patentrezept für die Reduzierung der Verkehrsemissionen?
 

Die Verringerung der Verkehrsemissionen ist ein Problem, für das es keine wirksame Einzellösung gibt – kein „Patentrezept“, sagt Nyberg.

 

 

„Wir haben uns zu lange und in zu vielen Bereichen auf Erdöl verlassen. Dadurch haben wir uns an den Gedanken gewöhnt, dass Verkehr auf nur einer einzigen Lösung beruht“, fügt Nyberg hinzu. „Und das ist auch der Grund, warum nun viele auf der Suche nach dem nächsten „großen Ding“ sind. Doch  das kann nicht die Zukunft sein“.

Es ist vielmehr klar, dass selbst die praktikabelsten kohlenstoffarmen Verkehrslösungen ihre Grenzen haben. Elektrofahrzeuge zum Beispiel sind ein wirksames Mittel zur Emissionsminderung und sie erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Sie unterstützen jedoch keine skalierbare Dekarbonisierung der Luftfahrt, des Seefrachtverkehrs und des Lkw-Fernverkehrs – drei Verkehrsträger, die für einen unverhältnismäßig hohen Teil an Emissionen verantwortlich sind. Nyberg betont zwar, dass die Elektrifizierung nach wie vor ein entscheidender Baustein der Gesamtlösung ist, nennt aber auch zahlreiche andere Herausforderungen im Zusammenhang mit ihrer breiten Einführung, wie z. B. die Infrastruktur, eine zuverlässige Produktion in großem Maßstab und die weitere Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen. Allein in Europa werden bis 2025 schätzungsweise 1 Million Elektroladestationen benötigt, die Versorgung mit Batterien ist derzeit aufgrund der hohen Kosten und Umweltbedenken nicht gesichert. Gleichzeitig werden batteriebetriebene Fahrzeuge mit Strom betrieben, der in vielen Fällen durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt wird.

Ein ähnliches Dilemma besteht auch bei vielen anderen Lösungen. So tragen beispielsweise sowohl der öffentliche Personennahverkehr wie auch verbesserte Verkehrsnetze zur Senkung der Emissionen bei Allerding nicht in ausreichendem Maße, um allein den Übergang zu nachhaltiger Mobilität zu schaffen. Und selbst wenn die verkehrsbedingten Emissionen mit einer Technologie allein ausreichend reduziert werden könnten, wäre es mit Sicherheit ein Fehler, sich ausschließlich auf diese Technologie zu konzentrieren. Gerade in den letzten Jahren haben verschiedene Ereignisse die Fragilität zahlreicher globaler Lieferketten offengelegt und uns auf drastische Weise die mit ihnen verbunden Gefahren vor Augen geführt. Infolge der Covid-19-bedingten Schließungen und Quarantänen sank die Verfügbarkeit und stiegen die Preise in unzähligen Marktsegmenten. Und die Weltwirtschaft trägt weiterhin die Kosten dafür, dass mehr als 85 % der weltweit produzierten Halbleiter aus einer einzigen Region kommen. In ähnlicher Weise hat der derzeitige Krieg in der Ukraine die übermäßige Abhängigkeit von russischen Öl- und Gasexporten offenbart, die zu einer weitreichenden Störung der Energiesicherheit und einem erheblichen Anstieg der Kraftstoff- und Energiepreise in der ganzen Welt geführt hat. 

„Es ist daher ganz entscheidend, mehrere Optionen zur Verfügung zu haben“ sagt Nyberg. „Die Entscheidungen, die Europa in der Vergangenheit getroffen hat, haben zu einer unnötigen Unsicherheit bei der Energieversorgung geführt. Ein Konzept, das auf mehrere Optionen baut, könnte dies künftig vermeiden..“ 

Welche Rolle werden erneuerbare Kraftstoffe hierbei wirklich spielen?

Von allen aktuell verfügbaren Lösungen für eine umweltfreundlichere Mobilität nehmen Elektrofahrzeuge den größten Raum in der öffentlichen Diskussion und auch der politischen Debatte ein. Sie sind jedoch nicht die einzige vielversprechende Technologie, die uns zur Verfügung steht. Eine weitere sind erneuerbare Kraftstoffe, d. h. Kraftstoffe, die aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt werden. Diese Art von Kraftstoffen sind ein wichtiger Schwerpunkt von Neste. Der von Neste produzierte erneuerbare Diesel Neste MY Renewable Diesel verursacht im Vergleich zu fossilem Diesel bis zu 90 %* weniger Treibhausgasemissionen über den Lebenszyklus des Kraftstoffs. Entscheidend ist, dass das Produkt in bestehenden Dieselmotoren eingesetzt werden kann, ohne dass Anpassungen am Fahrzeug oder an der Infrastruktur erforderlich sind. 

Erneuerbare Kraftstoffe sind auch aus anderen Gründen interessant - in erster Linie, weil sie eine wirtschaftlich tragfähige Lösung darstellen, die bereits heute verfügbar ist und zur Verringerung der Verkehrsemissionen in verschiedenen Anwendungen auf der ganzen Welt beiträgt. Erneuerbare Kraftstoffe eignen sich ideal für diejenigen Verkehrssegmente, in denen eine Elektrifizierung nicht in Frage kommt, wie z. B. in der Luftfahrt, der Schifffahrt und im LKW-Verkehr. Diese drei Verkehrsträger, die auch als Schwerlasttransporte (heavy-duty transportation, HDT) bezeichnet werden, sind zusammen für mehr als ein Drittel der Verkehrsemissionen verantwortlich - und dieser Anteil nimmt weiter zu. Aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften sind der Batterietechnologie Grenzen gesetzt und es ist im besten Fall unpraktisch, im schlimmsten Fall  sogar ganz unmöglich, HDT-Flotten mit Strom zu versorgen. Ein weiterer Vorteil von erneuerbaren Kraftstoffen ist die breite Palette an Rohstoffen, aus denen sie hergestellt werden können. Dazu gehören beispielsweise verschiedene Arten von Abfällen und Reststoffen wie lignocellulosehaltige Biomasse aus der Forstwirtschaft oder landwirtschaftliche Abfälle. 

Erneuerbare Kraftstoffe werden die Elektromobilität nicht verdrängen. Aber sie können - und müssen - sie ergänzen. Dies wird von Nachhaltigkeits- und Verkehrsexperten kaum bezweifelt. Sie weisen auch darauf hin, dass die Netto-Reduzierung der THG-Emissionen durch die Nutzung erneuerbarer Kraftstoffe diejenige von Elektrofahrzeugen übertreffen kann, wenn zur Beurteilung eine „Well-to-Wheels“-Analyse und nicht nur eine „Tank-to-Wheel“-Analyse durchgeführt wird. Erneuerbares Methan, das aus flüssiger Biomasse gewonnen wird, erzeugt sogar negative Nettoemmissionen. Selbst wenn mehrere andere kohlenstoffarme Lösungen, einschließlich der Elektrifizierung, eine tiefe Marktdurchdingung erreichen, werden ausreichende Emissionssenkungen im globalen Verkehrssektor wahrscheinlich nur durch die breite Einfühgung erneuerbarer Kraftstoffe erreicht werden können. Es gibt jedoch noch weitere Herausforderungen in diesem Bereich. So bedarf es zum Beispiel einzigratiger Verarbeitungsmethoden, um erneuerbare Rohstoffe wie Biomasse und feste Abfälle erfolgreich in Kraftstoff umwandeln zu können. Bei einigen Rohstoffen sind diese Verfahren bereits wirtschaftflich rentabel, bei anderen hingegen sind weitere Innovationen erforderlich. Grundsätzlich besteht die Herausforderung im Zusammenhang mit erneuerbaren Kraftstoffen in der Schaffung eines Bewusstseins für die Lösungen. Viele Kraftstoffverbraucher, darunter auch Unternehmen, Kommunen und Nutzer von Großtransporten, sind nicht über die Performance und Verfügbarkeit erneuerbarer Kraftstoffe im Bilde.

Vom Potenzial zum Fortschritt

Obwohl zahlreiche kosteneffiziente, kohlenstoffarme Lösungen zur Verfügung stehen, kommt es im Verkehrssektor nicht zu einer Netto-Emissionsreduzierung. Stattdessen nehmen die Emissionen sogar noch zu. Nach Ansicht von Carl Nyberg kommt der Politik hier eine Schlüsselrolle zu, damit sich dies ändert. 

„Die Bedeutung des Gesetzgebers und der Regulierungsbehörden kann in diesem Zusammenhang gar nicht hoch genug bewertet werden. Es geht nicht unbedingt darum, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Technologien unterstützt werden sollten, da dies möglicherweise nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Es geht darum, langfristige Nachhaltigkeitsverpflichtungen festzulegen und Transparenz in Bezug auf diese Ziele herzustellen.“ Nach Ansicht von Nyberg würde eine solche Gesetzgebung das nötige Vertrauen schaffen, um die Förderung von Maßnahmen für eine nachhaltige Mobilität auf Seiten der Produzenten, der Verbraucher und der Investoren gleichermaßen anzustoßen. 

Darüber hinaus bedeutet der globale Charakter der Verkehrsnetze und -prozesse, dass die Behörden koordiniert vorgehen müssen, um einen kohärenten Rechtsrahmen zu schaffen und zu erhalten. Die Verwirklichung einer nachhaltigen Mobilität ist ohne ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Regulierungsbehörden einfach nicht möglich. Behördliche Vorgaben sind jedoch nur ein Teil einer Strategie, die an mehreren Fronten umgesetzt werden muss. Kraftstoff- und Energieerzeuger (wie z. B. Neste) müssen ein Gleichgewicht zwischen kurzfristiger Rentabilität und langfristiger Innovation finden. Und dies nicht nur, um künftigen gesetzlichen  Vorgaben zu entsprechen, sondern auch, um das eigene Fortbestehen zu gewährleisten. Denn die Verkehrswirtschaft der Zukunft wird zwangsläufig eine neue Palette an Produkten und Lösungen erfordern. In der Zwischenzeit müssen sich die Käufer und Verbraucher großer Kraftstoffmengen auf die tatsächlichen Treibhausgasemissionen konzentrieren. Und darauf, wie sie diese durch die Einführung kohlenstoffarmer Lösungen in ihren eigenen Betrieben und denen ihrer Zulieferer in der Praxis reduzieren können. 

Fazit

Die weitgehende Dekarbonisierung des Verkehrssektors ist eine unabdingbare Voraussetzung, um die Klimaziele zu erreichen, um Ressourcen zu schonen und die Natur zu schützen. Sie wird auch die Stärke und das Wachstum der Weltwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten unterstützen. Gleichzeitig ist sie ein Problem, das schnell und entschlossen angegangen werden muss. Regierungen, Kommunen, Energie- und Kraftstoffhersteller, Verbraucher und Finanzinstitute - sie alle spielen eine wichtige Rolle und müssen sich von der Philosophie leiten lassen, dass nur mehrere Lösungen zusammen zum Ziel führen. 

Angesichts des wachsenden Bewusstseins und der sich verändernden Einstellungen gibt es mit Blick auf die Zukunft der Mobilität Grund für Optimismus. Umweltfreundliche Innovationen und Investitionen wirken sich zunehmend auf den Verkehrsmarkt aus. Ihnen nicht im Weg zu stehen, ist unsere wichtigste Aufgabe.