Luftfahrt
30.06.2022
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Die Dekarbonisierung des Luftverkehrs erfordert breiten Einsatz von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff

Thorsten Lange
Executive Vice President, Renewable Aviation, Neste

 

Um die Klimaziele zu erreichen, muss die Luftfahrtindustrie verstärkt auf emissionsarme Lösungen setzen, und dies schließt die breite Einführung von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) ein. Ohne eine schnelle und drastische Umstellung auf alternative Lösungen, die zur Emissionsreduzierung beitragen, wird es nicht möglich sein, Ziele wie Netto-Null-Emissionen im Luftverkehr (wie von der IATA* formuliert) oder Klimaneutralität (wie von der Europäischen Kommission ausgegeben) bis 2050 zu erreichen. Effizienzsteigerungen bei operativen Abläufen und Infrastrukturen, technologische Innovationen wie das Elektro- oder Hybrid-Flugzeug sowie die Verringerung der Nachfrage nach Flugreisen insgesamt werden zur Reduzierung der Flugzeugemissionen beitragen, aber keine dieser Lösungen wird eine derart wichtige Rolle spielen wie SAF. 

 

Wie kann ein sauberer Luftverkehr zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen? 

Weltweit entfällt auf den Verkehrssektor ein übermäßig hoher Anteil an Treibhausgas (THG)-Emissionen, wodurch er nach Aussage der Weltbank der zweitgrößte Verursacher des Klimawandels ist. Der Luftverkehr allein ist verantwortlich für 2–3 % aller THG-Emissionen und Experten prognostizieren einen weiteren Anstieg dieser Zahl infolge der steigenden Nachfrage nach Flugreisen. Insgesamt ist der Beitrag des Luftverkehrs zum Klimawandel sogar noch höher (er wird in einigen Studien mit bis zu 5 % beziffert), da Flugzeuge nicht nur CO2  emittieren; sondern auch Rußpartikel und Wasserdampf in die Atmosphäre freisetzen, Kondensstreifen erzeugen und den Aufbau der Atmosphäre auch auf andere Weise beeinflussen. 

Zweifellos sind mit der Luftfahrt zahlreiche Herausforderungen verbunden, wenn es um eine nachhaltige Zukunft geht, und viele Strategien werden derzeit zu ihrer Lösung umgesetzt. Leider sind viele dieser Lösungen nicht in ausreichendem Maße tragfähig oder lassen sich nicht schnell genug ausbauen, um die erforderliche Wirkung zu erzielen. 

So sind zum Beispiel batteriebetriebene Elektrofahrzeuge ein wirksames Instrument zur Dekarbonisierung vieler Verkehrsträger, und das Elektroflugzeug kann ein wichtiger Bestandteil des Luftverkehrs der Zukunft sein. Aktuell jedoch sind die Batterien einfach zu groß und zu schwer für Passagierflugzeuge. Ähnlich sieht es aus, wenn es darum geht, den Luftverkehr durch den Verkehr auf der Schiene zu ersetzen, der umweltfreundlicher ist, und Flugzeugemissionen somit verringert werden könnten. Der Großteil der Flugzeugemissionen entfällt nämlich auf Langstreckenflüge, und diese Strecken können im Zugverkehr nicht abgebildet werden. Auch wenn einige Ingenieure optimistisch sind und glauben, dass diese Probleme in der Zukunft gelöst werden können, stellen sie weiterhin ein großes Hindernis für die Dekarbonisierung der Luftfahrt dar. Es braucht eine ganze Reihe von Lösungen – einschließlich Elektrifizierung, Wasserstofflösungen und Hochgeschwindigkeitsbahnverkehr – die miteinander kombiniert werden. Kurzfristig ist SAF jedoch die wichtigste dieser Lösungen. 

 

Was spricht für nachhaltigen Flugzeugtreibstoff? 

SAF ist aus mehreren Gründen ein entscheidender Baustein. Zu 100 % hergestellt aus erneuerbaren Rohstoffen wie Abfällen und Reststoffen, reduziert SAF die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Ressourcen kommerziell zu nutzen, die andernfalls auf Mülldeponien landen oder unsachgemäß bewirtschaftet würden. Darüber hinaus gilt SAF aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung, die vergleichbar ist mit herkömmlichem Kerosin, als „Drop-in“-Lösung. Dies bedeutet, dass für seinen Einsatz keine Anpassungen an Motoren oder Infrastruktur erforderlich sind. Im Gegensatz zur Elektrifizierung, zum Eisenbahnbau und zu anderen potenziellen Dekarbonisierungsstrategien kann mit sehr geringen finanziellen Investitionen ein weitaus größerer Nutzen erzielt werden. Erwähnenswert ist auch, dass nachhaltiger Flugzeugtreibstoff die Nicht-CO2-Effekte des Luftverkehrs verringern kann – SAF verursacht beispielsweise keine Schwefeloxidemissionen und kann die Rußpartikelemissionen um bis zu 70 % senken.

Das Wichtigste aber ist, dass die Lösung SAF schon jetzt verfügbar ist. Die Technologie ist vorhanden, die Lieferketten sind einsatzbereit und die Produktion wird ausgebaut. Es ist durchaus möglich, dass andere Technologien auf lange Sicht die Emissionen noch stärker reduzieren oder bessere finanzielle Renditen bieten als SAF, aber auf kurze Sicht ist es die einzige wirtschaftlich tragfähige und skalierbare Lösung. Prognosen zeigen, dass zum Erreichen der Klimaziele der IATA und der EU, 65 % der notwendingen Emissionssenkung im Luftverkehr durch den Einsatz von SAF erreicht werden  müssen.

 

Gibt es einen Zeitrahmen für den Einsatz von SAF? 

Derzeit wird SAF von einer wachsenden Anzahl großer Flughäfen und Fluggesellschaften bereitgestellt bzw. genutzt; seit 2016 wurde es bei über 370.000 kommerziellen Flügen eingesetzt. Um sein Emissionsminderungspotenzial jedoch maximal ausschöpfen zu können, muss die Einführung von SAF in den nächsten Jahren drastisch beschleunigt bzw. intensiviert werden. 2019 verbrauchten Flugzeuge mehr als 300 Millionen Tonnen Treibstoff, davon waren jedoch nur rund 200.000 Tonnen SAF. Neste stellt bereits jetzt mehr als die Hälfte des weltweit verfügbaren nachhaltigen Flugzeugtreibstoffs her und beabsichtigt, seine Produktion bis 2023 auf 1,5 Millionen Tonnen zu erhöhen. Das Unternehmen arbeitet weiterhin mit Lieferanten und Innovatoren auf der ganzen Welt zusammen, um die globale Verfügbarkeit von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff zu erhöhen. 

In Zukunft wird die Gesetzgebung die Dynamik des SAF-Marktes stark beeinflussen. Um eine gewisse Sicherheit zu schaffen, was die zukünftige Nachfrage anbetrifft – beispielsweise durch Verpflichtungen oder Anreize zur Nutzung von SAF – können Politik  und Behörden neue Investitionen beschleunigen sowie das Wachstum der Lieferkette und die nachhaltige Kraftstoffproduktion vorantreiben. Damit dies geschehen kann, muss weiterhin ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie wichtig und entscheidend die Reduzierung der Verkehrsemissionen ist und welchen wichtigen Beitrag  SAF hierzu leisten kann. Da sich das Zeitfenster, in dem wir die großen Klimaziele für 2050 noch erreichen können, schließt, müssen Unternehmen, aber auch die Politik und Organisationen jetzt handeln. Wenn alle zusammenarbeiten, ist es möglich, eine nachhaltige Luftfahrtindustrie und eine nachhaltige Zukunft für alle zu entwickeln. 

* Der Internationale Luftverkehrsverband vertritt 290 Fluggesellschaften oder anders gesagt mehr als 80 % des Luftverkehrs weltweit.