Erneubare Lösungen
17.07.2023
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Das Problem ist nicht der Kohlenstoff an sich, sondern seine Quelle: wie erneuerbarer Kohlenstoff den Klimawandel bekämpft

Würde man die Treibhausgasemissionen eines Fahrzeugs direkt an dessen Auspuff ermitteln, so würde man ähnliche Werte erhalten, ganz unabhängig davon, ob der Motor mit fossilen Kraftstoffen oder mit erneuerbaren Kraftstoffen betrieben wird, die aus biobasierten Rohstoffen hergestellt werden. Warum werden dann aber erneuerbare Kraftstoffe mit der Angabe von deutlich geringeren Emissionen beworben? Und was ist erneuerbarer Kohlenstoff? Wenn Ihnen das auch schon mal m merkwürdig vorgekommen ist, dann ist dieser Artikel für Sie genau richtig.

Damit die Antwort Sinn ergibt, müssen wir uns zuerst einmal näher anschauen, was wir als „Kohlenstoffkreislauf“ – oder den natürlichen Kohlenstoffkreislauf zwischen den Lebewesen und den verschiedenen Bestandteilen des Planeten – bezeichnen. Hier einige Beispiele, wie das funktioniert (eventuell kommen Ihnen einige dieser Begriffe aus der Schulzeit bekannt vor):

  • Photosynthese – Pflanzen nehmen Kohlenstoff (in Form von Kohlenstoffdioxid, d. h. CO2) aus der Atmosphäre auf und nutzen ihn für ihr Wachstum
  • Atmung – Tiere setzen bei der Atmung Kohlenstoff (in Form von CO2) in die Atmosphäre frei
  • Verteilung/Exsolution (Entmischung) – Die Ozeane tauschen Kohlenstoff (CO2) mit der Luft über ihnen aus 

Diese Interaktionen zwischen den drei Kohlenstoffspeichern – der Atmosphäre (Luft), der Biosphäre (Lebewesen) und der Hydrosphäre (Ozeane) – sind ein wesentlicher Bestandteil des Kohlenstoffkreislaufs der Erde. Dieser Kohlenstoffkreislauf ist ein sehr sensibles System. Es gibt jedoch noch einen anderen, sehr wichtigen Speicher: die Lithosphäre. Die Lithosphäre ist die äußerste feste Schicht der Erde. Sie speichert große Mengen Kohlenstoff, vorwiegend in Form von Kohle, Gas und Öl. „Gefangen“ in der Lithosphäre, bleibt der Kohlenstoff dort sehr, sehr lange Zeit gebunden – manchmal für mehrere Millionen Jahre. Ohne Eingriff von außen wird er nur selten durch Ereignisse wie Vulkanausbrüche, bei denen Kohlenstoff in Form von CO2 an die Atmosphäre abgegeben wird, freigesetzt.

 

Der natürliche Kohlenstoffkreislauf

Die Kohlenstoffkreisläufe der Erde (vereinfacht dargestellt).

Während man sich den Kohlenstoffaustausch zwischen der Biosphäre, Atmosphäre und Hydrosphäre als Teil des natürlichen kurzfristigen Kohlenstoffkreislaufs vorstellen kann, kann der Kohlenstoffaustausch mit der Lithosphäre als Bestandteil des langfristigen Kohlenstoffkreislaufs angesehen werden. Daher stammt der Kohlenstoff, den wir als erneuerbaren Kohlenstoff bezeichnen, aus der Biosphäre, Atmosphäre und Hydrosphäre, aber nicht aus der Lithosphäre.

Und hier liegt das Problem.

In den letzten Jahrhunderten blieb der Kohlenstoff in der Lithosphäre nicht unberührt, da der Mensch ihn im Laufe der Industrialisierung zunehmend für eigene Zwecke genutzt hat. Tatsächlich fördern wir beispielsweise immer größere Mengen von Kohle, Gas und Öl. Wir wandeln diesen in der Lithosphäre eingelagerten Kohlenstoff in Energie wie Wärme, Elektrizität und Kraftstoffe (vornehmlich durch Verbrennen) um und lassen die hierdurch entstehenden Emissionen in die Erdatmosphäre gelangen. Diese massive Störung der natürlichen Kohlenstoffkreisläufe des Planeten hat zu einem drastischen Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre geführt, der in der Folge für den Treibhauseffekt, die Erderwärmung und gravierende Veränderungen des globalen Klimas verantwortlich ist. Das Problem ist nicht, dass CO2 in der Atmosphäre zu finden ist – das Problem ist, dass die Konzentration des in der Atmosphäre enthaltenen CO2 seit dem Beginn des Industriezeitalters um fast 50 Prozent gestiegen ist.

 

Gutes CO2 und schlechtes CO2?

CO2 ist an sich nichts Schlechtes. Es ist nur eine chemische Verbindung – und eine sehr wichtige noch dazu. Ohne CO2 würden keine Pflanzen wachsen und Leben wäre nicht möglich. Bedenkt man jedoch die Auswirkungen des Eingriffs in die Kohlenstoffkreisläufe der Erde durch den Menschen, wird deutlich, dass die Quelle des Kohlenstoffs oder des CO2 von großer Bedeutung ist. Wir können in gewisser Weise festhalten, dass CO2 dann schlecht ist, wenn der Kohlenstoff aus der Lithosphäre stammt. In diesem Fall wird er als „fossiles“ CO2 bezeichnet. Dies entsteht, wenn Kohlenstoff aus dem langfristigen Kohlenstoffkreislauf entnommen und dem kurzfristigen Kreislauf zugeführt wird. Durch das Verbrennen immer größerer Mengen fossiler Ressourcen haben wir riesige Mengen an zusätzlichem Kohlenstoff aus der Lithosphäre der Atmosphäre zugeführt. Das Ergebnis: Wir haben die Gesamtkonzentration von CO2 in der Atmosphäre erhöht, weil der kurzfristige Kreislauf diesen Kohlenstoff nicht auf natürliche Weise binden oder schnell genug zurück unter die Erdoberfläche bringen kann. 

Daher kann man mit Sicherheit sagen, dass wir unseren Verbrauch fossiler Ressourcen stoppen (oder zumindest drastisch reduzieren) müssen, wenn wir die Erderwärmung begrenzen möchten. Wir müssen zulassen, dass der langfristige Kreislauf seine Arbeit machen kann, und dürfen seinen Kohlenstoff nicht verbrauchen. 

Damit kommen wir zum „guten“ CO2: der Verbrauch von Kohlenstoff, der bereits Teil des kurzfristigen Kreislaufs ist und auf natürliche Weise zwischen der Biosphäre und Atmosphäre ausgetauscht wird. 

Stellen wir uns vor, es gäbe keine Menschen auf der Erde. Dann würde immer noch Kohlenstoff von der Biosphäre in die Atmosphäre überführt und umgekehrt, weil Pflanzen wachsen,  sterben und verrotten würden – und das wäre kein Problem. Das ist der Kohlenstoffkreislauf, den wir uns zunutze machen können. Bevor die Pflanze stirbt bzw. verrottet und ihren Kohlenstoff als CO2 freisetzt, können wir diesen Kohlenstoff auf einem kleinen Umweg nutzen und ihn in den Biokraftstoff umwandeln, den wir zu Beginn dieses Artikels erwähnt haben. Warum soll man nicht den unvermeidlichen Zeitpunkt, an dem Emissionen entstehen, ein bisschen hinauszögern? Dies hat schließlich keine Auswirkungen auf die Gesamtkohlenstoff-Konzentration in der Atmosphäre. 

 

Das Ziel der Klimaneutralität 

Je mehr Technologien wir entwickeln und einsetzen, mit denen wir diesen Umweg wie oben beschrieben gehen können, desto näher kommen wir der Klimaneutralität, was bedeutet, dass wir dem kurzfristigen Kohlenstoffkreislauf nicht mehr Kohlenstoff hinzufügen, als er auf natürliche Weise binden kann. 

Heute werden fossile Ressourcen noch für viele verschiedene Dinge eingesetzt, unter anderem auch zur Umwandlung in Energie. Fossile Energie kann auch noch in der Produktion erneuerbarer und biobasierter Kraftstoffe oder der Herstellung von Materialien wie Kunststoffen eingesetzt werden: der Lkw, der die Rohstoffe liefert, kann z. B. fossilen Kraftstoff tanken oder die Verarbeitungsanlage kann mit Strom aus Kohle oder Gas betrieben werden.

Das ist der Grund, warum Sie möglicherweise Berichte finden, nach denen erneuerbare Produkte die Emissionen im Vergleich zu ihren fossilen Pendants um vielleicht 70, 80 oder 90 Prozent verringern können. Die verbleibenden Emissionen können weiter reduziert werden, wenn zum Beispiel alle fossilen Energieträger durch erneuerbare ersetzt oder eventuell verbleibende Emissionen abgeschieden werden.

 

Der Unterschied zwischen erneuerbarem und fossilem Kohlenstoff

Der Unterschied zwischen erneuerbarem und fossilem Kohlenstoff

Während es unserer Meinung nach möglich sein wird, in Zukunft eine tatsächliche Klimaneutralität (oder sogar Negativität, wenn es uns gelingt, mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen, als wir ihr hinzufügen!) zu erreichen, wäre es bereits heute möglich, mit den jetzt schon verfügbaren Lösungen entscheidende Veränderungen zu erreichen, und zwar sofort und in großem Umfang. Und da bei fossilem Kohlenstoff jedes Kilogramm zählt, bei dem es uns gelingt, seine Freisetzung in die Atmosphäre zu verhindern bzw. vermeiden, wären wir gut beraten, diese erneuerbaren Lösungen zu nutzen, um schlechtes CO2 durch gutes CO2 zu ersetzen. Fazit: Ja, ein mit erneuerbaren Kraftstoffen betriebener Motor emittiert auch CO2, aber es ist das “gute” CO2