Kunststoffe
4.07.2023

Chemisches Kunststoffrecycling in Aktion: Wie sich vier Unternehmen zusammengetan haben, um industrielle Produktionsabfälle in wertvolle Produkte umzuwandeln

 

In der Kunststoffindustrie gibt es Abfallströme, die bisher nicht recycelt werden konnten. Das finnische Unternehmen Uponor befand sich in einer ähnlichen Situation und entschied, dass es an der Zeit war, etwas zu ändern: Man entschloss sich, nach Wegen zu suchen, um Materialien recyceln zu können, die in der Vergangenheit als nicht recycelbar galten. Zusammen mit drei weiteren Partnern gelang ihnen dies.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Hersteller von Rohren für den Wohnungs- und Gebäudebau. Obwohl Sie Ihre Prozesse bereits in hohem Maße optimiert haben, kommt es bei der Herstellung jedes Rohres weiterhin zu einem unvermeidlichen Materialverlust, d. h. ein kleiner Teil endet als Produktionsabfall. Das Problem mit diesen Abfällen ist, dass es keine wirkliche Verwendung für sie gibt. 

Uponor pipe

Produktionsabfälle aus der Herstellung von PEX-Rohren bei Uponor. Quelle: Uponor.

 

Mit der oben beschriebenen Situation war auch das finnische Unternehmen für nachhaltige Wasserlösungen, Uponor, konfrontiert. Neben einer breiten Palette anderer Produkte stellt Uponor Rohre für Heizungs- und Sanitäranlagen her. Diese Rohre bestehen aus einem speziellen Kunststoff, dem vernetzten Polyethylen, welches oft auch als „PEX“ bezeichnet wird. Die PEX-Rohre leisten einen wichtigen Beitrag zur Energieeffizienz und Sicherheit. Sie sind robust, temperaturbeständig und langlebig. Sie bringen im Grunde alle Eigenschaften mit, die man von Rohren erwartet, die Wasser durch ein Gebäude transportieren.

Diese Eigenschaften sind auf die Vernetzung des Polyethylens zurückzuführen. Unter Vernetzung versteht man die Bildung von Verbindungen zwischen den Molekülen im Polyethylen. Durch die Herstellung dieser Verbindungen werden die Haltbarkeit, Widerstandsfähigkeit und Flexibilität des Kunststoffs verbessert. Klingt kompliziert? Versuchen wir mal, es verständlicher zu machen: Stellen Sie sich Polymere als sehr lange Ketten vor – denken Sie an gekochte Spaghetti. Wenn Sie einen Haufen gekochter Spaghetti auf Ihren Teller legen, werden Sie sehen, dass daraus nichts Spektakuläres entsteht, sondern dass es eben einfach nur ein Haufen Spaghetti ist. Aber mit etwas Klebstoff könnte man die einzelnen Spaghetti miteinander verbinden und ein richtiges Netz aus Nudeln bilden. Mit jeder Verbindung, die Sie herstellen, verleihen Sie diesem Nudelhaufen mehr Stabilität und verwandeln ihn in ein spektakuläres köstliches Kunstwerk. 

Spaghetti

Ein Teller Spaghetti. Schmackhaft, aber eine eher wackelige Angelegenheit.

 

In diesem Sinne ist PEX eine sehr gut verklebte Variante des Spaghetti-Haufens und damit eine gute Wahl, wenn es um ein langlebiges Produkt geht. Leider hatte das in der Vergangenheit auch seine Schattenseiten: PEX gilt als Material, dessen Recycling mit herkömmlichen Recyclingtechnologien nahezu unmöglich ist. Bei der Herstellung der PEX-Rohre blieb Uponor nichts anderes übrig, als die PEX-Produktionsabfälle zu sammeln und zu entsorgen. Sie wurden entweder verbrannt oder auf eine Deponie verbracht. Deshalb suchte das Team nach einer ressourcen-effizienteren Alternative und fand sie auch, nachdem die richtigen Partner zusammengebracht worden waren. 

„PEX ist vielseitig einsetzbar. 50 Jahre PEX-Rohre sprechen für sich“, so Thomas Fuhr, Chief Technology Officer bei Uponor. „Unser Ziel ist es, 100 % unserer PEX-Abfälle in einem geschlossenen Produktkreislauf zu verwerten. Um das zu schaffen, mussten wir irgendwo anfangen - und deshalb haben wir Gespräche mit chemischen Recyclingunternehmen aufgenommen.“ 

Verflüssigung von Kunststoffabfällen

In Nokia, einer kleinen Stadt 150 Kilometer nördlich von Helsinki, betreibt das finnische Unternehmen Wastewise Group das Pendant zu einer Saftpresse, allerdings für Kunststoffe und zumindest auf den ersten Blick: Kunststoffabfälle gehen in die Anlage rein, verflüssigter Kunststoffabfall kommt aus der Anlage raus. Hinter dem, was ganz einfach klingt, steckt eine komplexe Technologie, die das Unternehmen selbst erfunden hat. Im Gegensatz zu Äpfeln und Orangen wird der Kunststoff nicht ausgepresst, sondern geschmolzen, verdampft und kondensiert. Wastewise nutzt die Pyrolyse, um feste Kunststoffabfälle in eine Flüssigkeit umzuwandeln. In einem Reaktor werden die Kunststoffabfälle sehr hohen Temperaturen von fast 500 Grad Celsius ausgesetzt. Um ein Verbrennen des Kunststoffs zu vermeiden, wird der Sauerstoff aus dem Reaktor entfernt: kein Sauerstoff, kein Feuer. 

 

Wastewise facility Nokia

Wastewise-Anlage in Nokia. Quelle: Wastewise.

 

Der verflüssigte Kunststoffabfall ist keine sehr homogene Masse. Durch den Pyrolyseprozess werden zwar bestimmte Verunreinigungen im ursprünglichen Kunststoffabfall (Speisereste, Erde, Papier) beseitigt, aber es handelt sich immer noch um eine Mischung aus allen möglichen Materialien oder Chemikalien, die früher den Kunststoffprodukten zugesetzt wurden. In gewisser Weise ähnelt die Flüssigkeit fossilem Rohöl, und sie bleibt auch nur flüssig, wenn bestimmte Temperaturen aufrechterhalten werden. In diesem verflüssigten Kunststoffabfall sind jetzt jedoch die PEX-Produktionsabfälle von Uponor enthalten, da das Wastewise-Team diese in seiner Pyrolyseanlage einsetzen konnte. 

„PEX steht auf einer Liste von Materialien, die den Recyclern Kopfzerbrechen bereiten“, erklärt Kaisa Suvilampi, Geschäftsführerin und Partnerin bei Wastewise. „Anstatt uns auf Abfälle zu konzentrieren, die bereits recycelt werden können, war es immer unser Ziel, schwer zu recycelnde Kunststoffabfälle in ein Pyrolyseöl umzuwandeln, das die nötige Qualität für die Weiterverarbeitung besitzt. Und genau das haben wir mit den PEX-Abfällen von Uponor getan.“

Das Pyrolyseöl, das herkömmlichen Rohöl ähnelt, wird dann bei einer entsprechenden Temperatur zur Raffinerie von Neste in Porvoo, Finnland, transportiert. An diesem Standort betreibt Neste seit mehr als 50 Jahren eine konventionelle Rohölraffinerie. Das Unternehmen prüft derzeit jedoch, wie es seine Raffinerie in Porvoo vollständig in eine Produktionsstätte für erneuerbare und Kreislaufprodukte umgestalten kann, wodurch fossiles Rohöl als Rohstoff für die Raffinerie schrittweise wegfallen würde. Ein Teil des Rohöls wird bereits heute durch verflüssigten Kunststoffabfall wie das Pyrolyseöl von Wastewise ersetzt. Von jetzt an werden die zu Pyrolyseöl verarbeiteten PEX-Abfälle als Input für die Raffinerie verwendet und zusammen mit Rohöl zu Neste RE verarbeitet, einem Rohstoff für neue Kunststoffe.  

Neste Porvoo refinery

Neste-Raffinerie in Porvoo, Finnland. Quelle: Neste.

„Der Einsatz von verflüssigtem Kunststoffabfall direkt in der Raffinerie funktioniert in kleineren Mengen“, erklärt Heikki Färkkilä, Vice President Chemical Recycling bei Neste. „In Zukunft werden wir bei größeren Mengen neuartige Raffinerieverfahren benötigen, um die Qualität des Öls zu verbessern und zu gewährleisten, dass es als Drop-in-Rohstoff für die Kunststoffproduktion verwendet werden kann. In der Raffinerie Porvoo sollen in den kommenden Jahren entsprechende Kapazitäten aufgebaut werden. Wir werden dann in der Lage sein, jedes Jahr Hunderttausende Tonnen von verflüssigtem Kunststoffabfall zu verarbeiten.“

Im Rahmen des Projekts „PULSE“, das vom EU-Innovationsfonds mit 135 Millionen Euro gefördert wird, strebt Neste Vorbehandlungs- und Veredelungskapazitäten von 400.000 Tonnen pro Jahr an, die bis 2028 schrittweise erreicht werden sollen. Perspektivisch will das Unternehmen weltweit über 1 Millionen Tonnen Kunststoffabfall pro Jahr verarbeiten.

Zurück zum Ursprung der Kunststoffe

Durch die Verarbeitung des Pyrolyseöls in der Raffinerie wird ein hochwertiger recycelter Rohstoff gewonnen, der zu neuen Kunststoffen verarbeitet werden kann. Technisch gesehen könnte der Rohstoff - der im Prinzip aus sehr lange Ketten von Kohlenwasserstoffen besteht - nun in neue Kunststoffe für alle möglichen Anwendungen umgewandelt werden. Da das Ziel dieses speziellen Projekts jedoch darin bestand, den Kreislauf für PEX-Kunststoffe zu schließen, wird der recycelte Rohstoff zum Steamcracker von Borealis in Porvoo, Finnland, weitertransportiert. Im Steamcracker werden diese langen Ketten in kleinere Ketten umgewandelt, von denen eine Ethylen ist. Mit Ethylen ist der Kreis fast geschlossen. Was noch zu tun bleibt, ist die Umwandlung der Ethylen-Monomere in Polyethylen-Polymere. Dieser Schritt wird ebenfalls von Borealis in Porvoo durchgeführt.

 

Borealis Porvoo

Borealis-Werk in Porvoo, Finnland. Quelle: Borealis.

 

„Wir waren in der Lage, chemisch recycelte PEX-Abfälle aus der Rohrherstellung als Rohstoff in unsere etablierten Herstellungsprozesse zu integrieren“, berichtet John Webster, Global Commercial Director Infrastructure bei Borealis. „Da hierfür keine zusätzlichen Tests, Genehmigungen oder Validierungen erforderlich sind, war es recht einfach, dieses Projekt ins Rollen zu bringen. Schwer zu recycelnder Kunststoffabfall als Input und hochwertige Polymere als Output sind kein Widerspruch mehr.“

Das Polyethylen wird dann zurück zum Uponor-Werk in Virsbo, Schweden, transportiert. Die Vernetzung des Polyethylens erfolgt mit Hilfe von Peroxiden. Denken wir noch einmal an Spaghetti: Das Peroxid ermöglicht es im Prinzip, die Spaghetti aneinander zu kleben. Stellen Sie sich der Einfachheit halber vor, jede einzelne Spaghetti-Nudel hätte Hände und wir wollten sie mit diesen Händen zusammenkleben. Leider sind ihre Hände nicht frei. Das Peroxid ändert das. Es sorgt dafür, dass die Hände frei werden, die dann zusammengeklebt werden.

Das Ergebnis ist PEX, das Uponor nun zur Herstellung neuer PEX-Rohre verwenden kann. Während in der Anfangsphase der Zusammenarbeit Produktionsabfälle verwendet werden, könnte dieser Prozess in Zukunft durchaus auf andere Abfallströme ausgeweitet werden. Eventuell können alte PEX-Rohre, die derzeit immer noch in Gebäuden ihren Dienst tun, auf ähnliche Weise recycelt werden. 

Durch die Bündelung ihrer Kräfte und ihre Zusammenarbeit schufen die vier Partner die Grundlage für die Kreislauffähigkeit von Kunststoffen, die bisher in einer linearen Wertschöpfungskette gefangen waren.