Kreislaufwirtschaft
22.04.2021

Die Zukunft der Kreislaufwirtschaft: Haben wir die richtigen Rahmenbedingungen, um den Wandel erfolgreich zu gestalten?

Peter Vanacker
President en CEO van Neste Corporation

Die Zeit des Wunschdenkens ist vorbei – wir müssen alle verfügbaren Lösungen anwenden.

Für die Chemiebranche bedeutet das, dass wir enormen Herausforderungen gegenüberstehen. Wir leben bereits in dem Jahrzehnt, das die Zukunft unserer Branche, unserer Gesellschaft und unseres Planeten bestimmen wird. Die Uhr tickt schnell in Richtung 2050.

Wir sind längst über den Punkt hinaus, an dem es ausreicht, wieder nur neue, hehre Ziele zu setzen. Wir müssen jetzt anfangen, uns für nachhaltigere Lösungen zu entscheiden. Und diese Lösungen sind bereits verfügbar. Eine ganz entscheidende Frage lautet jedoch: Haben wir die richtigen Rahmenbedingungen, um diese Lösungen auch in der Praxis zu etablieren und so den Wandel unserer Branche wirksam voranzubringen?

Was wir sicher wissen, ist, dass die aktuellen Herausforderungen zu groß sind, um ihnen mit einer einzigen Lösung beizukommen. Wir können es uns nicht erlauben, Sektoren und Technologien gegeneinander auszuspielen. Wirklich weiterhelfen wird uns nur das Zusammenspiel einer Vielzahl von Lösungen, auch in sektorübergreifenden Partnerschaften. Was wir brauchen, ist Teamwork, Technologieoffenheit und unvoreingenommene Antworten auf die Frage: Wie erreichen wir beim Umwelt- und Klimaschutz den größtmöglichen Effekt – in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht?

Wir bei Neste haben aus erster Hand miterlebt, wie engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Innovationsgeist und Anpacker-Mentalität gemeinsam und in Zusammenarbeit mit den richtigen Partnern grundlegende Veränderungsprozesse zum Erfolg führen können. Wir haben bewiesen, dass die Transformation eines Geschäftsmodells für ein Unternehmen neue, aufregende Marktchancen eröffnen kann.

Heute veredeln wir Abfälle, Rückstände und innovative Rohstoffe zu nachwachsenden Brennstoffen und nachhaltigen Ausgangsstoffen für Chemikalien, Kunststoffe und andere Materialien. Im vergangenen Jahr, 2020, halfen Nestes erneuerbare Produkte unseren Kunden, ihre Treibhausgasemissionen um 10 Millionen Tonnen zu reduzieren, was der durchschnittlichen CO2-Bilanz von 1,5 Millionen EU-Bürgern oder der jährlich zurückgelegten Entfernung von 3,7 Millionen PKW entspricht. Um sich diesen Klimabeitrag besser vorstellen zu können: 3,7 Millionen PKW hieße, die Städte Berlin, München, Köln, Hamburg, Frankfurt und Leipzig wären sozusagen „autofrei“.

Allerdings: Während Biokraftstoffe schon heute über das Potenzial verfügen, die Kohlenstoffbilanz des Straßen- und Flugverkehrs erheblich zu reduzieren, müssen für andere, aufstrebende, aber noch nicht wirtschaftlich tragfähige Lösungen wie das Power-to-Liquid-Konzept (PtL) konkrete Richtlinien erst noch durch die Politik festgelegt werden. Die Politik wird hier maßgeblich darüber mitentscheiden, welche Technologiepfade Wirtschaft und Gesellschaft einschlagen können.

Ähnlich wird auch die Marktakzeptanz für Kunststoffe aus erneuerbaren und recycelten Rohstoffen entscheidend von den gesetzlichen Rahmenbedingungen geprägt – beispielsweise von einer möglichen Erhöhung der Pflichtquoten in Kunststoffprodukten. Und für Recycling-Technologie gilt: Zum Erreichen der bestehenden Recyclingziele der EU für Kunststoffe würde selbst eine ambitionierte Vervierfachung der mechanischen Recyclingkapazitäten allein nicht ausreichen. Die Zeit des Wunschdenkens ist vorbei – wir müssen alle verfügbaren Lösungen anwenden. Mit dem chemischen Recycling haben wir eine zweite, ergänzende Lösung zur Hand.

Wichtig ist, dass wir in der aktuellen, weitreichenden und notwendigerweise oft abstrakten Debatte um den Wandel unserer Wirtschaft nicht den Zugang zu konkreten Lösungen übersehen, die uns mit Blick auf unsere Klimaziele unmittelbar weiterhelfen können.

Was brauchen wir also, um den Wandel mit ganzer Kraft angehen zu können?

Wenn wir die zirkuläre Bioökonomie wirklich voranbringen, den Einsatz fossiler Rohstoffe reduzieren und die Transformation zum Erfolg machen wollen, können wir nicht außer Acht lassen, dass neue Lösungen und Technologien in der Praxis immer auch größere Investitionen erfordern. Solche Investitionen setzen allerdings ein vorhersehbares Geschäftsumfeld ebenso voraus wie Richtlinien, die Innovationen fördern. Denn Innovationszyklen – insbesondere in der chemischen Industrie – benötigen Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, bis die neu entwickelten Technologien praxisreif werden. Fortschrittliche, technologisch vorausschauende und einheitliche Rahmenbedingungen würden somit alle Akteure der Branche ermutigen, Innovationen voranzutreiben und so das Beste aus den Ressourcen zu machen, die uns zur Verfügung stehen.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind – dann sind wir startbereit, die Transformation zur zirkulären Bioökonomie voranzutreiben.

 

Zuerst veröffentlicht auf handelsblatt.com.

[1] Statista: Global cumulative production of plastic 1950-2050.

[2] World Bank (2018), What a Waste 2.0: A Global Snapshot of Solid Waste Management to 2050.

Written by
Peter Vanacker
President en CEO van Neste Corporation